In fünf Wochen über 850 km auf dem nördlichen Jakobsweg von Irun nach Santiago de Compostela – man hat ja sonst nichts Besseres mit seiner Zeit anzufangen. Hier habe ich ein wenig dokumentiert, was uns auf dem Weg widerfahren ist. Unsere Tour habe ich in ein paar Unteretappen aufgeteilt:
– Von Irun nach Bilbao
– Von Bilbao nach Santander
– Von Santander nach Sebrayo / Villaviciosa
– Typologie der Pilger / Peregrinos
Inhaltsübersicht
Von Irun nach Bilbao
Wir starteten unser Abenteuer am Montag nach einer kurzen Nacht um 4 Uhr morgens, die beiden Backpacks mit jeweils etwa 9 kg gepackt. Besser wären angeblich ca. maximal 10% des eigenen Körpergewichts, was nochmal deutlich darunter liegen würde. Doch als Camino-Anfänger macht man wohl grundsätzlich ein paar Fehler und packt auch immer noch deutlich zu viel ein. Uns sind auf dem Weg teilweise “peregrinos” bzw. Pilger begegnet, darunter z.B. ein paar 70-jährige französische Omis, die mit locker 5 Kilos hinkommen, was bei ca. 1 kg Rucksack-Gewicht, 1 l Wasser und dem restlichen Krimskrams schon ein halbes Wunderwerk ist.
Der Flieger ging um halb 8 von München nach Barajas Madrid, dann weiter mit Air Nostrum nach San Sebastian bzw. Irun. Der erste Flug mit Iberia war recht unspektakulär, es gab keine Snacks oder Drinks noch Beinfreiheit, und die Rückenlehnen konnten wir auch nicht verstellen. Das haben wir jedoch gerne in Kauf genommen, da die anderen Flüge deutlich teurer waren. Der zweite Flug war deutlich angenehmer, dafür aber mit 1:15 h nur halb so lang.
Kurz nach Ankunft am Flughafen von San Sebastian, der sich im ca. 20 km entfernten Irun befindet, machten wir uns auf den Weg in die Innenstadt. Wir versuchten vergeblich ein Taxi zu finden, und da der Bus auch auf sich warten ließ, begannen wir unseren Camino schon hier. Wir drehten gleich zu Beginn eine Ehrenrunde von etwa 5 Kilometern, da die Albergue in der Innenstadt geschlossen war.
Dort wollten wir unseren Camino-Pass organisieren, doch die meisten Albergues öffnen ihre Pforten erst am Nachmittag gegen 14 bis 16 Uhr, und wir waren drei Stunden zu früh dran. Der Pilgerausweis, auf Spanisch „credencial“, ist quasi die „Eintrittskarte“ für die (öffentlichen) Herbergen, wobei auch die meisten privaten Herbergen dieses Dokument bei der Ankunft sehen und auch stempeln.
Ankunft in San Sebastian
Laut Reiseführer ging es in der ersten Etappe über 26,5 Kilometer in Richtung San Sebastian bei mehr als 700 Höhenmetern. Anfangs hatten wir etwas blauäugig mit etwa fünf Stunden Wanderzeit gerechnet. Nach neun Stunden kamen wir dann um 22 Uhr völlig erschöpft an. Wir hatten uns über Airbnb ein Zimmer in einem echten “kick-ass”-Appartment organisiert, inkl. Balkon im vierten Stock mit spektakulärem Blick über die Stadt – ein Volltreffer (mal von den zwei betrunkenen Zimmernachbarn abgesehen, die uns um die wohlverdiente Nachtruhe brachten).
Im Nachhinein wäre ein Zwischenstopp in Pasajes sicherlich gut gewesen, weil dieses schmucke Städtchen schon sehr malerisch und einladend auf uns wirkte, besonders das Restaurant kurz vor der Überfahrt über den kurzen Wasserweg. Der Camino war an diesem Tag schon wunderschön und hatte einige Highlights zu bieten.
Tipp: Die erste Etappe des Camino del Norte von Irun nach San Sebastian sollte man ggf. in zwei aufteilen. Gerade am Anfang ist es gut, nicht gleich in die Vollen zu gehen und 30 km zu wandern – vor allem, wenn man so wie wir entgegen allen Empfehlungen kein ein- bis zweiwöchiges Wandertraining zuvor absolviert hat. Pasajes bietet sich sehr gut an, um ein längere Verschnaufpause inkl. Übernachtung einzulegen.
Überhaupt sollte man sich beim Abwandern des Camino del Norte und der anderen Wege nicht unbedingt immer an den gängigen Reiseführern orientieren: manchmal werden dort deutlich längere aber auch kürzere Teilstrecken angegeben, die mal mehr, mal weniger Sinn machen.
Die Etappe zwischen Markina-Xemein und Bilbao beilspielsweise, welche satte 35 km mit durchaus anspruchsvollem Schwierigkeitsgrad beträgt, sollte man evtl. auch besser in Markina-Lezama (20 km) und Lezama – Bilbao (15 km) aufteilen, um dann in Bilbao ein paar der sehenswerten Highlights wie dem Guggenheim-Museum und der schönen Altstadt mitnehmen zu können.
Was wir in unserer ersten Woche auf dem Camino gelernt haben:
- Auch wenn 4 km auf dem Wegweiser stand, können es durchaus 6 gewesen sein.
- Wenn Dir in Spanien jemand sagt, es dauert “cinco minutos” bzw. 5 Minuten, dann sind es evtl. doppelt so viele.
- Früh aufstehen ist gut, früh ankommen noch besser, um einen der begehrten Plätze in den Herbergen zu erhalten: wir mussten in Lezama im Freien übernachten, da die 20 Plätze in der Albergue schon recht schnell vergeben waren und wir uns in philippinischer Manier allzu viel Wanderzeit genommen hatten. Allerdings war unsere Nacht, die wir auf einem Fronton verbrachten, egtl. ganz gut, da wir keine schnarchenden Zimmernachbarn hatten:D
- Die Menus del dia bzw. Tagesmenüs sind einfach unschlagbar: für ca. 8 bis 15 Euro (je nach Gegend) erhält man ein Zwei-Gänge-Menü mit Nachspeise, Brot, Wein und oft auch Wasser dazu. Meist haben wir zu zweit eine ganze Flasche Rotwein hingestellt bekommen, was wir echt gut fanden. Angeblich soll es sogar Pilger geben, die nach dem Camino mehr auf die Waage bringen als vorher:D
- Das Schnüren der Wanderschuhe kann süchtig machen und ist zu einem echten Ritual geworden.
- Laufblasen behandelt man angeblich am besten mit Nadel und Faden: den Faden einfach “drin” lassen, um die Blase auszutrocknen. Hat bei mir beim linken Fuß funktioniert, beim rechten Fuß eher dafür gesorgt, dass es noch schlimmer wurde.
- Unbedingt mit ins Gepäck sollten Autan gegen Mücken und Pferdebremsen, Ohrenstöpsel gegen allzu laute Schnarchzapfen, Badelatschen / Flip Flops. Alles andere ist Verhandlungs-/ Geschmackssache.
- Manchmal muss und sollte man auf private Albergues oder auch Pensionen und Hotels ausweichen. Auf dem Weg von Irun nach San Sebstian war das relativ neue “Izarbida” empfehlenswert (ca. 5 km nach Deba, da dort die Herberge voll war). Manchmal muss man sich auch auf Nächte im Freien einstellen – ist aber in einer warmen Sommernacht kein Problem.
- Auch Rucksackpacken will gelernt sein: das schwere Zeug nach unten, das leichtere eher nach oben.
Man kann den Camino auch “rückwärts” laufen: wir trafen auf zwei Aussies, die nachdem sie den Camino frances absolviert hatten, von Santander in Richtung Irun aufgebrochen sind. Down under ist eben alles ein wenig anders:D - Eine Tagesetappe auf dem Jakobsweg kann härter sein als eine Marathonlauf – für mich jedenfalls. Die Schmerzen nach einem Marathon in vier Stunden waren jedenfalls noch nie so schlimm wie nach 30 km Wandern in zehn Stunden.
Unsere Highlights auf dem Weg von Irun nach Bilbao
- Das Restaurant Pitis in Markina-Xemein.
- Die wunderschöne Aussicht auf dem Weg von Irun nach Pasajes und von Pasajes nach San Sebastian.
- Das sehr gute baskische Essen (Pintxos / Tapas), super Cappuccino und die herzlichen Basken an sich.
- San Sebastian bei Nacht.
- Frühstücken am Strand von Zarautz.
- Der “hospilatero” von Lezama – ein echt netter Kerl, der uns sehr gut weitergeholfen hat.
Von Bilbao nach Santander
Zu Beginn der zweiten großen Etappe ging es zunächst von Bilbao nach Pobena. Neben dem Guggenheim-Museum war es vor allem die Altstadt von Bilbao, die es uns angetan hatte. Die Strecke nach Pobena war dann eine der härtesten mit über 30 km. Schmerzen überall und zum ersten Mal ernsthaft die Frage: warum das alles? Und: werden die Schmerzen während der nächsten Etappen weniger?
In Portugalete begegneten wir zwei Australiern, die den Camino rückwärts liefen: sie konnten vom Wandern nicht genug bekommen und brachen von Santander aus in Richtung Irun auf – nachdem sie den vollen Camino frances abgelaufen waren.
In unserer zweiten Woche hatte sich dann schon eine alltägliche Routine bei uns eingestellt mit etwa folgendem Ablauf:
- Aufstehen zwischen 6 und 7 Uhr. Rucksack packen, losgehen.
- Eine Bar finden und leckere Pintxos frühstücken und leckeren Milchkaffee dazu trinken. Idealerweise fällt dieses Frühstück mit der ersten Pause zusammen.
- Zur Mittagspause sollte man die Hälfte der Tagesetappe hinter sich haben.
- Zwischen 14 und 16 Uhr ankommen, duschen, Wäsche waschen.
- Nach etwas Small-Talk oder Arbeiten dann ab 18 Uhr das richtige Restaurant finden, um ein Tagesmenü mit zwei Gängen, Nachspeise und gutem Rotwein zu genießen.
- Zwischen 21 und 22 Uhr schlafen gehen und durchschlafen bis um 6 Uhr in der Hoffnung, dass man das Zimmer mit nicht allzu vielen Schnarchzapfen teilt. Oder Zimmernachbarn, die meinen, mitten in der Nacht ihren Rucksack neu packen zu müssen.
Was ich in den letzten Tagen gelernt habe:
- Die 70jährigen Omis sind ganz schön flott und lassen mich auf den Strecken bis 30 km recht alt aussehen.
- Man muss nicht unbedingt einen wichtigen Grund haben, um den Jakobsweg zu gehen – viele machen einfach ein paar Tage oder Wochen “Wanderurlaub”.
- Postkartenschreiben auf dem Camine del Norte macht besonders viel Spaß.
- Manche Etappen auf dem Camino sind meiner Meinung nach härter als ein Marathon: 30 km in 10 Stunden wandern finde ich anstrengender und schmerzvoller als in vier Stunden den Marathon zu laufen.
- Sonntagmorgens ist in Spanien absolut tote Hose. Zwischen 14 und 17 Uhr, wenn die Spanier täglich ihre Siesta abhalten, ebenso.
Unsere Highlights von Bilbao nach Santander:
- Die “Bar Muro’s” in Castro Urdiales: hier ist es der Tintenfisch (squid / riquismas rabas), der es uns echt angetan hat.
- Die Albergue in Guemes, das auf das Wirken rund um Vater Ernesto zurück geht. Tipp: Ein paar Kilometer vor Guemes befindet sich eine Trinkquelle von 1902 mit Steintisch und Steinbänken – genau der richtige Ort für eine längere Pause. Die “Calle el Rinco” gehört zu den schönsten, die wir auf dem ganzen Camino gesehen haben.
- Die oftmals wunderschönen Küsten- und Strandabschnitte, wo sich viele Surfer tummeln.
Von Santander nach Sebrayo / Villaviciosa
Der Weg aus Santander heraus ist alles andere als schön, doch auf der Etappe mit Ziel Santillana del Mar wird man im zweiten Teil ein wenig entschädigt. Auf dem Weg nach Sebrayu (bzw. Sebrayo) sollte man sich überlegen, ob man kurz nach Villaviciosa weiterhin den Camino del Norte an der Küste gehen will oder dann über Oviedo den Camino Primitivo gehen möchte – wir haben uns für die zweite Variante entschieden.
In unserer dritten Woche hat sich so etwas wie eine alltägliche Wanderroutine bei uns eingespielt. Mittlerweile haben sich verschieden Typen an Peregrinos herauskristallisiert:
Typologie der Pilger / Peregrinos:
1.) Die alten Profis / Senioren: sie sind meist optimal ausgerüstet, haben viel Wandererfahrung und lassen die meisten anderen alt aussehen. Sie stehen oft noch vor 6 Uhr morgens auf und sind dann die ersten, die eine Albergue erreichen. Sie treten oft in Grüppchen auf und sind meist aus Frankreich.
2.) Die Kriselnden: sind gerade im Umbruch und gehen deshalb den Camino. Beispiel: Uschi (Name ist frei erfunden) aus Reutlingen in Baden-Württemberg, die gerade frisch geschieden ist nach zehn Jahren Ehe. Wenn man ihr so zuhört wie sie alle anderen herumkommandiert und den Ton angibt, überall die Erste ist und das auch alle anderen wissen lässt, dann kann man erahnen, warum.
3.) Die Jungspunde: sind meistens die letzten, die in der Albergue ankommen. Sie wollen immer alles wissen und über Gott und die Welt reden. Extremes Beispiel: die 18jährige Chantal (Name wieder frei erfunden) aus Köln, die eigentlich “fett Party machen will” aber schnell auf dem Boden der Tatsachen gelandet ist, da der Camino alles andere als ein Zuckerschlecken und wilde Feierei ist.
4.) Die Stinker: Duschen grundsätzlich nicht oder nur selten. Haben meist nur 3 kg Rucksäcke dabei. Stinken.
5.) Pärchen: Sie sind oft harmonisch eingespielt, gehen gleich schnell bzw. langsam und sind dabei doch fast so schnell wie die Senioren. Aber nur fast, weil sie auf dem Weg allzu viele Selfies und Schnappschüsse machen wollen. Sie können alles teilen und das Gewicht der Rucksäcke dadurch hervorragend ausgleichen. Darüberhinaus finden sich die gelben Pfeile zu zweit viel leichter.
6.) Die Exoten: dazu gehören u.a. die rückwärtslaufenden Aussies oder der Marathonläufer aus Hamburg, welcher jeden Tag 50-70 km absolviert und den Jakobsweg “eher sportlich sieht”; das barfuß (!) laufende Mädchen aus Schlesweg-Holstein – wobei ich immer noch glaube, dass es sich hierbei um einen Camino-Mythos handelt. Und dann noch die Hardcore-Peregrinos, welche schon in Belgien anfangen und nach 3,5 Monaten dann in Santiago ankommen; oder die verrückten Franzosen, welche teilweise samt Hund von Frankreich bis nach Gibraltar und weiter gehen.
Unsere Highlights von Santander nach Villaviciosa:
- Das Städtchen Santillana del Mar, das laut Jean-Paul Sartre das schönste Dorf Spaniens ist; und auch wir waren begeistert von den sehr gut erhaltenen mittelalterlichen Häuschen, die bis vor 20 Jahren noch vorwiegend Kuhställe beherbergten. Heute ist aus Santillana ein Touristenmagnet mit hervorragenden Unterkunftsmöglichkeiten. Tipp: wer kein Bett mehr in der “offiziellen” Albergue hinter dem Museum bekommt, sollte sich einmal das “Solar de Hidalgos” anschauen. Dort gibt es ein Bett ab 12 Euro in einem wirklich tollen Ambiente.
- Die hilfsbereite Hospitalera in Sebrayu / Sebrayu. In dem abgelegenen Örtchen gibt es keine Bar, kein Restaurant und keinen Laden. Dafür kommt um ca. 16 und 19 Uhr ein “Food-Truck” vorbei, der den hungrigen Peregrino mit dem Nötigsten versorgt.
- Der letzte Kilometer nach Colombres ist superhart aber es ist immer schön, wenn man am Ziel ankommt. Das blaue Youth Hostel kann man allerdings vergessen, und die 12 Euro dafür sind absolut überteuert.
Wie es nach unserer Pilgerschaft auf dem Camino del Norte ergangen ist, habe ich in diesem Beitrag zum Camino Primitivo geschrieben. In Oviedo haben wir bei gutem Essen samt obligatorischem Sidra erst einmal einen Ruhetag eingelegt, um uns von fast drei Wochen durchgehendem Wandern ein wenig zu erholen:D
Dieser Beitrag über den Camino del Norte wurde geschrieben von John. Reisen ist seine Leidenschaft, und das Pilgern auf den Jakobswegen gehört für ihn zu den absoluten Highlights.
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Eine Antwort zu “Camino del Norte – der nördliche Jakobsweg”
[…] war! So ruhig, im eigenen Rhythmus in Richtung Santiagao zu marschieren. Der Weg, welcher uns von Irun / San Sebastian aus gen Westen führte, hat mich durchaus inspiriert, und ich werde sicher noch lange von dieser Pilgerreise […]